LAG Baden-Württemberg, 11.09.2015 - 1 Sa 5/15: Unwirksame Befristung bei Arzt in Weiterbildung
Mit Urteil vom 11.09.2015 stellte das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg klar, dass im entschiedenen Fall die Befristung des Arbeitsverhältnisses einer Ärztin in Weiterbildung unwirksam war und diese daher über ein unbefristetes Anstellungsverhältnis verfügt.
Hintergrund der Entscheidung bilden die Sonderbestimmungen des ÄArbVtrG ( "Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung"). Demnach können unter den dort geregelten Voraussetzungen Arbeitsverträge mit Ärzten in der Weiterbildung befristet werden.
(Symbolbild)
Grundvoraussetzung ist § 1 Abs. 1 ÄArbVtrG:
"Ein die Befristung eines Arbeitsvertrags mit einem Arzt rechtfertigender sachlicher Grund liegt vor, wenn die Beschäftigung des Arztes seiner zeitlich und inhaltlich strukturierten Weiterbildung zum Facharzt oder dem Erwerb einer Anerkennung für einen Schwerpunkt oder dem Erwerb einer Zusatzbezeichnung, eines Fachkundenachweises oder einer Bescheinigung über eine fakultative Weiterbildung dient."
Im vorliegenden Fall hatte die 1969 geborene Klägerin mit Datum vom 13.06./21.06.2012 einen befristeten Arbeitsvertrag für die Zeit vom 01.07.2012 bis 30.06.2014 als teilzeitbeschäftigte Ärztin abgeschlossen. Laut einem Kreuz in der Arbeitsvertragsurkunde sollte die Befristung „zum Erwerb einer Zusatzbezeichnung, eines Fachkundenachweises oder einer Bescheinigung über eine fakultative Weiterbildung“ erfolgen.
Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses war die Klägerin bereits 16 Jahre als approbierte Ärztin tätig.
Während der Tätigkeit des streitgegenständlichen Vertrages kam es unter anderem zu Meinungsverschiedenheiten darüber, ob der Klägerin genügend Möglicheit zur Weiterbildung geboten wurde. Nachdem ein Verlangen der Klägerin auf Verlängerung des Anstellungsverhältnisses um 2 Jahre nicht entsprochen wurde, reichte sie schließlich unter Beachtung der 3-Wochen-Frist des § 17 TzBfG am 18.07.2014 Entfristungsklage (Befristungskontrollklage) beim Arbeitsgericht (ArbG) Heilbronn ein.
Die Parteien stritten im wesentlichen darüber, ob ein ausreichender Weiterbildungsplan bestand.
Erstinstanzlich unterlag die Klägerin.
Auf ihre Berufung hin stellte das LAG nunmehr fest, dass das streitgegenständliche Arbeitsverhältnis über den 30.06.2014 hinaus unbefristet fortbesteht.
Maßgeblich für den Erfolg der Klägerin in der zweiten Instanz waren folgende Erwägungen des LAG:
Es verlangt zunächst, dass eine konkrete Weiterbildungsplanung, die zeitlich und inhaltlich strukturiert ist, objektiv vorliegt (Rdnr. 40):
"Wirksamkeitsvoraussetzung für die Befristung nach § 1 Abs. 1 ÄArbVtrG ist es jedoch, dass die Beschäftigung des Arztes seiner zeitlich und inhaltlich strukturierten Weiterbildung objektiv dient. Die Frage, welche Anforderungen an eine solche Weiterbildung im Einzelnen zu stellen sind, wird in Rechtsprechung (LAG Berlin 10.10.2006 - 12 Sa 806/06 - Rn 27; LAG Berlin-Brandenburg 16.10.2009 - 9 Sa 1242/09- Rn. 23) und Schrifttum (KR-Treber aaO Rn. 20; APS-Schmidt aaO Rn. 15; KSchR-Däubler/Wroblewski 9. Aufl. § 1 ÄArbVtrG Rn: 9; Erfurter Kommentar/Müller-Glöge, 15. Aufl. §§ 1 - 3 ÄArbVtrG Rn. 4; Künzl NZA 2008, 1101) bisher nicht vertieft erörtert. Die Auslegung der Vorschrift ergibt, dass der Arbeitgeber bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrags zu diesem Zweck eine Weiterbildungsplanung erstellen muss, die zeitlich und inhaltlich auf die konkrete Weiterbildung zugeschnitten ist. Die Planung muss nicht Inhalt der (schriftlichen) Befristungsabrede sein. Sie muss jedoch objektiv vorliegen und im Prozess dargelegt werden."
Sie muss nach Auffassung des zwar nicht förmlich in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden, aber durchaus vorhanden sein.
Maßgeblich ist dabei eine Prognose des Arbeitgebers zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses (Rdnr. 49):
"§ 1 Abs. 1 ÄArbVtrG knüpft durch die Bezugnahme auf den die Befristung rechtfertigenden Sachgrund an die allgemeinen Regelungen über die Befristung von Arbeitsverhältnissen an. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Wirksamkeit einer Befristungsabrede grundsätzlich nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zu beurteilen. Die Prognose ist daher der wesentliche Teil des Sachgrundes für eine Befristung. Geht es um den Sachgrund des vorübergehenden betrieblichen Bedarfs nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG, so hat der Arbeitgeber im Prozess darzulegen, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses die Prognose gerechtfertigt war, nach dem vorgesehenen Vertragsende bestehe für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers kein betrieblicher Bedarf mehr (zuletzt BAG 15.10.2014 - 7 AZR 893/12 - NZA 2015, 362). Geht es um den Sachgrund der Vertretung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG, so bedarf es einer Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs durch die Rückkehr der Stammkraft (zuletzt BAG 29.04.2015 - 7 AZR 310/13 NZA 2015, 928)."
Eine solche Prognose muss sich in einem Weiterbildungsplan niederschlagen (Rdnr. 51):
"Eine derartige Prognose setzt zwingend voraus, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Vertragsschlusses Überlegungen dazu anstellt, welche Weiterbildungsinhalte der betreffende Arzt erwerben möchte und auf welche Weise der Erwerb im Laufe des befristeten Arbeitsverhältnisses stattfinden soll. Erforderlich ist somit ein Weiterbildungsplan."
Gerade bei Ärzten, die bereits an anderer Stelle (einzelne) Weiterbildungsabschnitte absolviert haben, genügt auch keine allgemeine Panung. Vielmehr müsse diese auf die Besonderheit der Situation eingehen und dürfe nicht 'auf das Geratewohl" erfolgen (Rdnr. 51):
"Geht es aber um eine Ärztin wie die Klägerin, die bereits vor einigen Jahren die Facharztanerkennung erworben hat und darüber hinaus jedenfalls in Arbeitsverhältnissen beim Landkreis E. und beim Städtischen Klinikum K. bereits Weiterbildungsinhalte für den Schwerpunkt 'Gastroenterologie' erworben hat, so genügt ein solches allgemeines Programm ersichtlich nicht. Denn um in einem solchen Fall die Weiterbildung zeitlich und inhaltlich zu strukturieren, muss zu Beginn des Arbeitsverhältnisses festgestellt werden, welche Weiterbildungsinhalte dem betreffenden Arzt noch fehlen und in welchem Zeitraum er sie mutmaßlich in der betreffenden Einrichtung erwerben kann. Ohne eine solche Planung würde die Beschäftigung des Arztes seine Weiterbildung nicht fördern; von einer 'Dienlichkeit' im Sinne des Gesetzes könnte keine Rede sein. Die Weiterbildung wäre eine solche 'auf das Geratewohl'."
Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen.
(Erstellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))
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