BAG, 22.05.2003 - 2 AZR 250/02: Zur Vererblichkeit der Abfindung in einem gerichtlichen Vergleich
Unter dem 22.05.2003 musste sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage befassen, welchen Einfluss es auf den in einem gerichtlichen Vergleich (oder einen außergerichtlichen Aufhebungsvertrag) vereinbarten Abfindungsanspruch eines Arbeitnehmers bzw. dessen Erben hat, wenn der Arbeitnehmer vor Erreichen des im Vergleich (Aufhebungsvertrag) vereinbarten Beendigungstermins stirbt.
In vielen Fällen wird in entsprechenden Aufhebungsvereinbarungen von Arbeitnehmerseite darauf gedrungen, die Vererblichkeit eines Abfindungsanspruchs ausdrücklich festzuschreiben.
(Symbolbild)
Mögliches Beispiel:
"§ ..
Die Beklagte verpflichtet sich, an den Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung entsprechend §§ 9, 10 KSchG in Höhe von brutto € ..... zu zahlen. Der Abfindungsanspruch ist bereits entstanden und vererblich. Er wird fällig zum Zeitpunkt der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses."
Im streitgegenständlichen Fall lautet die Formulierung indes nur:
"Die Beklagte zahlt an den Kläger als Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes entsprechend den §§ 9, 10 KSchG in Verbindung mit § 3 Ziff. 9 Einkommensteuergesetz 24.000,00 DM; Einigkeit besteht darüber, daß der Zahlbetrag erst zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird."
Die Parteien hatten also gerade keine ausdrückliche Bestimmung über die Vererblichkeit des Abfindungsanspruchs getroffen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten unterschiedlich entschieden.
Das BAG bejahte im vorliegenden Fall aufgrund einer Auslegung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles die Vererblichkeit.
Es führte aus:
Ausgangspunkt aller Überlegungen ist stets der von den Parteien in der Aufhebungsvereinbarung zum Ausdruck gekommene gemeinsame Parteiwille:
"Schließen die Arbeitsvertragsparteien – etwa durch Prozeßvergleich in einem Kündigungsschutzverfahren – einen Aufhebungsvertrag, so steht es ihnen frei zu vereinbaren, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer für die einvernehmliche Aufgabe seines Arbeitsplatzes eine Abfindung erhalten soll. ... Ob eine Abfindung auch dann auf den Erben übergeht, wenn der Arbeitnehmer vor dem im Aufhebungsvertrag vorgesehenen Beendigungszeitpunkt verstirbt, hängt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ebenfalls von dem erklärten Parteiwillen ab." (Rdnr. 16)
Ein Erfahrungssatz, dass eine Abfindung beim Versterben vor dem Beendigungszeitpunkt hinfällig werde, bestehe nicht:
"Nach der Senatsrechtsprechung kann deshalb nicht als Regelfall angenommen werden, der Arbeitnehmer müsse davon ausgehen, ein Abfindungsvergleich werde hinfällig, wenn er den Auflösungstermin nicht erlebe. Ein solcher Erfahrungssatz besteht nicht." (Rdnr. 17)
"Haben die Parteien nicht ausdrücklich vereinbart, daß die Abfindung nur gezahlt werden soll, wenn der Arbeitnehmer den vereinbarten Beendigungszeitpunkt erlebt, so ist insbesondere die im Vertrag verlautbarte Interessenlage der Parteien zu würdigen." (Rdnr. 18)
Das BAG erwähnt zwei Grundkonstellationen in seinen Überlegungen:
"Stellt die Abfindung in erster Linie eine Gegenleistung des Arbeitgebers für die Einwilligung des Mitarbeiters in die vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses dar, so spricht dies nach der Rechtsprechung eher dafür, daß die Zahlung der Abfindung nach dem Parteiwillen nicht davon abhängig sein sollte, daß der Arbeitnehmer den vereinbarten Beendigungszeitpunkt auch erlebt. Anders ist es, wenn bei Frühpensionierungsprogrammen die Abfindung vor allem dem Zweck dienen sollte, den Verdienstausfall des Arbeitnehmers zwischen dem vereinbarten Beendigungszeitpunkt und dem frühestmöglichen Bezug einer gesetzlichen Altersrente auszugleichen." (Rdnr. 18)
Den vorliegenden Fall ordnete das BAG der ersten Grundkonstellation zu; die Abfindung war daher vererblich.
(Quelle: BAG, Urteil v. 22.05.2003, 2 AZR 250/02)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler)