BGH, 13.11.2007 - VI ZR 89/07: 130%-Fall erfordert regelmäßig eine Weiternutzung des Unfallfahrzeugs
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich in einem Urteil vom 13.11.2007 mit der Frage zu befassen, wie es um das Weiternutzungserfordernis des verunfallten Fahrzeugs im Falle eines Unfallschadens steht, bei dem sich die Kosten der vollständigen und fachgerechten Reparatur im Bereich von bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert befinden, also insgesamt bis zu 130% des Wiederbeschaffunswertes betragen.
Im entschiedenen Fall ging es um einen Verkehrsunfall vom 30.04.2005.
Die volle Haftung der gegnerischen Seite für die entstandenen Unfallschäden stand außer Streit.
Streitig war indes die Höhe des Schadensersatzes.
Der Kläger hatte das Fahrzeug bereits am 16.06.2005, d.h. innerhalb von sechs Monaten, veräußert. Er hatte behauptet, dass dass verunfallte Fahrzeug zuvor ordnungsgemäß und fachgerecht repariert wurde.
(Symbolbild)
Die vom außergerichtlich beauftragten Sachverständigen ermittelten voraussichtlichen Reparaturkosten lagen im Bereich von 30% über dem Wiederbeschaffungswert.
Der Kläger verlangte unter anderem Ersatz der Reparaturkosten; die gegnerische Haftpflichtversicherung regulierte nur auf Basis des Wiederbeschaffungswertes abzüglich des Restwertes (sog. Wiederbeschaffungsaufwand).
Auch der BGH sah im vorliegenden Falle für den Kläger nur eine Regulierung des Verkehrsunfalls auf Grundlage des Wiederbeschaffungsaufwandes als berechtigt an.
Der BGH referierte zunächst seine allgemeine Rechtsprechung zum sog. 130%-Fall:
"Nach gefestigter Rechtsprechung des erkennenden Senats kann der Geschädigte in einem solchen Fall [= fachgerechte Reparatur in dem Umfang, die der Sachverständige zur Grundlage seiner Kostenschätzung gemacht hat (im vorliegenden Fall vom BGH unterstellt), Anm. des Verf.] unter bestimmten Voraussetzungen Ersatz des Reparaturaufwandes bis zu 30% über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs verlangen. ... Mit den schadensrechtlichen Grundsätzen des Wirtschaftlichkeitsgebots und des Verbots der Bereicherung (...) ist es grundsätzlich vereinbar, dass dem Geschädigten, der sich zu einer Reparatur entschließt und diese auch nachweislich durchführt, Kosten der Instandsetzung zuerkannt werden, die den Wiederbeschaffungswert bis zu 30% übersteigen (...). Denn der Eigentümer eines Kraftfahrzeugs weiß, wie dieses ein- und weitergefahren, gewartet und sonst behandelt worden ist, ob und welche Mängel dabei aufgetreten und auf welche Weise sie behoben worden sind. Demgegenüber sind dem Käufer eines Gebrauchtwagens diese Umstände, die dem Fahrzeug ein individuelles Gepräge geben (...), zumeist unbekannt. Dass ihnen ein wirtschaftlicher Wert zukommt, zeigt sich auch darin, dass bei dem Erwerb eines Kraftfahrzeugs aus 'erster Hand' regelmäßig ein höherer Preis gezahlt wird." (Rdnr. 8)
Anschließend weist er darauf hin, dass eine Abrechnung auf Reparaturkostenbasis im 130%-Fall allerdings voraussetzt, dass der Geschädigte sein besonderes Integritätsinteresse an seinem Fahrzeug auch dadurch zum Ausdruck bringt, dass er es regelmäßig, d.h. wenn nicht besondere Umsrtände vorliegen, sechs Monate nach Abschluss der Reparatur weiternutzt:
"Dass der Geschädigte Schadensersatz erhält, der den Wiederbeschaffungswert übersteigt, steht mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot und dem Bereicherungsverbot aber nur im Einklang, wenn er den Zustand des ihm vertrauten Fahrzeugs wie vor dem Unfall wiederherstellt, um dieses Fahrzeug nach der Reparatur weiter zu nutzen. Sein für den Zuschlag von bis zu 30% ausschlaggebendes Integritätsinteresse bringt der Geschädigte im Regelfall dadurch hinreichend zum Ausdruck, dass er das Fahrzeug nach der Reparatur für einen längeren Zeitraum nutzt. Für die Fälle, in denen der Fahrzeugschaden den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigt und der Geschädigte sein Fahrzeug zunächst weiter nutzt, später aber veräußert, hat der erkennende Senat entschieden, dass ein Anspruch auf Ersatz der vom Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten ohne Abzug des Restwerts besteht, wenn der Geschädigte das Fahrzeug mindestens sechs Monate nach dem Unfall weiter nutzt (BGHZ 168, 43, 47 f.). Die Frage, wie lange der Geschädigte sein Fahrzeug weiter nutzen muss, um sein Integritätsinteresse hinreichend zum Ausdruck zu bringen, ist für Fälle der vorliegenden Art grundsätzlich nicht anders zu beurteilen. Im Regelfall wird hierfür ein Zeitraum von sechs Monaten anzunehmen sein, wenn nicht besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen." (Rdnr. 9)
(Quelle: BGH, Urteil v. 13.11.2007, VI ZR 89/07)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michel Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))