BGH, 13.07.2010 - VI ZR 259/09: Zur Verweisung des Geschädigten auf Reparatur in freier Werkstatt
In einem Urteil vom 13.07.2010 hatte sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit der Frage der Höhe des Schadensersatzes nach einem Verkehrsunfall zu befassen. Namentlich ging es um die Frage der Verweisung des Geschädigten auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit des verunfallten Fahrzeugs in einer "freien Werkstatt".
Der Verkehrsunfall trug sich am 09.10.2008 zu. Geschädigtes Fahrzeug war ein gewerbliche genutzter, sieben Jahre alter Mercedes-Benz A140.
Die Geschädigte (Klägerin) betrieb eine Autovermietung. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach stand außer Streit.
(Symbolbild)
Die Parteien stritten allerdings um die zutreffende Ermittlung der Schadenshöhe:
Während die Klägerin ihrer Schadensberechnung im Rahmen einer fiktiven Abrechnung (Abrechnung nach Sachverständigengutachten) die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legte, wollte die Beklagtenseite lediglich die niedrigen Sätze einer nicht markengebundenen Werkstatt übernehmen. Außerdem wollte sie nicht die Verbringungskosten tragen.
Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos.
Auch beim BGH hatte die Klägerin keinen Erfolg.
Zwar könne der Geschädigte im Allgemeinen die vom Sachverständigen in seinem Gutachten ermittelten Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt seiner Schadensersatzforderung zugrunde legen.
Doch könne der Schädiger unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderungspflicht (§ 254 Abs. 2 BGB) den Geschädigten dann
"auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen 'freien Fachwerkstatt' verweisen, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, und wenn er ggf. vom Geschädigten aufgezeigte Umstände widerlegt, die diesem eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen würden." (Rdnr. 7)
Im Hinblick auf die zuletzt genannte Unzumutbarkeit haben sich in der BGH-Rechtsprechung folgende Anhaltspunkte herausgebildet:
"Unzumutbar ist eine Reparatur in einer 'freien Fachwerkstatt' für den Geschädigten im Allgemeinen dann, wenn das beschädigte Fahrzeug im Unfallzeitpunkt nicht älter als drei Jahre war. Aber auch bei Kraftfahrzeugen, die älter sind als drei Jahre, kann es für den Geschädigten unzumutbar sein, sich auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Geschädigte sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen. Unzumutbar ist eine Reparatur in einer 'freien Fachwerkstatt' für den Geschädigten auch dann, wenn sie nur deshalb kostengünstiger ist, weil ihr nicht die (markt-)üblichen Preise dieser Werkstatt, sondern vertragliche Sonderkonditionen mit dem Haftpflichtversicherer des Schädigers zugrunde liegen." (Rdnr. 8)
Im konkret entschiedenen Fall lehnte der BGH eine Erstattungsfähigkeit der Verbringungskosten bereits deshalb ab, weil der Sachverständige nach dem substantiierten Vortrag der Beklagten übersehen hatte, dass sämtliche in Betracht kommenden markengebundenen Fachwerkstätten über eigene Lackiererein verfügten. Diesem Vortrag war die Klägerin nicht substantiiert entgegengetreten.
Weiterhin folgt der BGH der Annahme der Vorinstanz, das die von der Beklagtenseite benannten freien Werkstätten den vorliegenden Schaden technisch in gleichwertiger Weise reparieren konnten:
"Für die technische Gleichwertigkeit der Reparatur der am Fahrzeug der Klägerin entstandenen Bagatellschäden hat das Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung festgestellt, dass sämtliche benannten Fachbetriebe den 'Eurogarant-Fachbetrieben' angehören, deren hoher Qualitätsstandard regelmäßig vom TÜV oder der DEKRA kontrolliert werde. Es handele sich um Meisterbetriebe und Mitgliedsbetriebe des Zentralverbandes Karosserie- und Fahrzeugtechnik, die auf die Instandsetzung von Unfallschäden spezialisiert seien. Zudem erfolge die Reparatur nach dem unbestrittenen Beklagtenvortrag unter Verwendung von Originalteilen." (Rdnr. 12)
Auch folgte der BGH der Annahme des Berufungsgerichts, dass im vorliegenden Fall keine Umstände gegeben seien, die es der Klägerin unzumutbar machen würden, ihr Fahrzeug nicht in einer markengebundenen Fachwerkstatt reparieren zu lassen:
"Die Revision zeigt keine Umstände auf, die es im Streitfall der Klägerin gleichwohl unzumutbar machen könnten, sich auf eine mühelos und ohne weiteres zugängliche Reparatur außerhalb einer markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war das Fahrzeug der Klägerin zum Unfallzeitpunkt bereits sieben Jahre alt, so dass im Rahmen der Zumutbarkeit Gesichtspunkte wie Gewährleistung, Garantie oder Kulanz keine Rolle mehr spielten. Die Revision macht auch nicht geltend, dass das Fahrzeug nach dem Sachvortrag der Klägerin vor dem Unfall stets in der markengebundenen Fachwerkstatt gewartet und repariert worden sei." (Rdnr. 14)
"Schließlich war der Klägerin eine Reparatur in der von der Beklagten benannten 'freien Fachwerkstatt' auch nicht deshalb unzumutbar, weil diese nicht im Sinne der Rechtsprechung des erkennenden Senats 'mühelos und ohne weiteres zugänglich' gewesen wäre. Das Berufungsgericht hat für die Frage der räumlichen Zugänglichkeit mit Recht auf die Umstände des Einzelfalls abgestellt, wonach sich sämtliche seitens der Beklagten benannten Fachwerkstätten im unmittelbaren Einzugsbereich von Frankfurt am Main befänden, so dass es der Klägerin ohne weiteres möglich und auch zumutbar gewesen wäre, eine Reparatur in einer dieser Werkstätten ausführen zu lassen. Der lediglich pauschale Hinweis der Revision, die Werkstätten befänden sich 'nicht am Sitz der Klägerin', vermag dabei keine abweichende Beurteilung zu rechtfertigen." (Rdnr. 16)
(Quelle: BGH, Urteil v. 13.07.2010, VI ZR 259/09)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel)