BAG, 19.04.2012 - 2 AZR 186/11: Kündigung bei unerlaubter Internetnutzung doch erst nach Abmahnung?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich am 19.04.2012 mit der Frage der Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und einem Auflösungsantrag der Arbeitgeberin im Zusammenhang mit unerlaubter Privatnutzung des Internets am Arbeitsplatz zu befassen.
1.
Der 1963 geborene Kläger war seit 1992 als Arbeitnehmer bei der Arbeitgeberin (Bausparkasse) beschäftigt. Seit 1997 war er Leiter der Abteilung Baufinanzierung. Seit 2001 verfügte er über Prokura. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt € 8.155,19.
(Symbolbild)
Mittels Rundschreiben vom 08.08.2002 wurden alle Mitarbeiter, die Abteilungsleiter zudem zusätzlich in einer Abteilungsleiterbesprechung vom 09.08.2002, darüber informiert, dass jegliche private Nutzung von Internet, Intranet und E-Mail untersagt sei und sie auch bei einem einmaligen Verstoß mit „arbeitsrechtlichen Konsequenzen (Abmahnung, Kündigung)“ rechnen müssten.
Im Zeitraum vom 13.10.2006 bis 02.11.2006 wurde über den klägerischen Internetzugang in erheblichem Umfang auf Internetseiten mit pornografischen Inhalten zugegriffen.
Dem Kläger wurde fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt. Hiergegen erhob er Kündigungsschutzklage.
2.
Es sei darauf hingewiesen, dass das BAG knapp sieben Jahre zuvor, nämlich mit Urteil v. 07.07.2005, 2 AZR 581/04, schon einmal über eine Kündigung wegen erheblicher, unerlaubter privater Internutzung - ebenfalls mit Seiten pornografischen Inhalts - zu entscheiden hatte. Dort hieß es in den Entscheidungsgründen insbesondere (Hervorhebung nicht im Original):
"Deshalb muss es jedem Arbeitnehmer klar sein, dass er mit einer exzessiven Nutzung des Internets während der Arbeitszeit seine arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten erheblich verletzt. Es bedarf daher in solchen Fällen auch keiner Abmahnung. ..." (Rdnr. 40)
3.
In seiner Entscheidung aus dem Jahre 2012 heisst es (dagegen milder):
"Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann (BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 36, BAGE 134, 349). Einer entsprechenden Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist ..." (Rdnr. 22)
Und weiter:
"Danach ist die Würdigung des Landesarbeitsgerichts nicht zu beanstanden, eine Abmahnung sei im Verhältnis zu einer Kündigung ein den Beklagten zumutbares milderes Mittel der Reaktion auf die Pflichtverletzungen des Klägers gewesen." (Rdnr. 24)
Und schließlich in Abgrenzung zur Entscheidung vom 07.07.2005:
"Das Landesarbeitsgericht hat zugunsten der Beklagten unterstellt, dass der Kläger das Internet an mehreren Tagen und insgesamt über mehrere Stunden privat genutzt und dabei ua. pornografisches Bildmaterial heruntergeladen hat. Auch ein solches Verhalten schafft keinen absoluten Kündigungsgrund. Zwar hat der Senat dies als einen denkbaren Fall erachtet, in dem es vor Ausspruch einer Kündigung einer Abmahnung nicht bedarf (BAG 7. Juli 2005 - 2 AZR 581/04 - zu B III 2 der Gründe, BAGE 115, 195). Dies ändert aber nichts daran, dass die Verhältnismäßigkeit einer Kündigung auch bei einem solchen Sachverhalt anhand aller relevanten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zu prüfen ist. ..." (Rdnr. 28)
(Quelle: BAG, Urteil v. 19.04.2012, 2 AZR 186/11)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))