BGH, 18.09.2013 - VIII ZR 297/12: Zum Angehörigen-Mietvertrages in der Zwangsversteigerung
Mit seinem Urteil vom 18.09.2013 musste der - für Fragen des Wohnraummietrechts zuständige - VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) sich mit einem Rechtsfall befassen, bei dem dem Ersteigerer einer Wohnung von einem Angehörigen des ehemaligen Eigentümers ein angeblich bestehender Mietvertrag entgegengehalten wurde.
Hintergrund der Entscheidung bildete folgender Sachverhalt:
Die Kläger erwarben im Wege der Zwangsversteigerung im Jahre 2009 eine Wohnung in Garmisch-Partenkirchen. Sie verlangten von der Beklagten Herausgabe dieser Wohnung und Nutzungsentschädigung.
(Symbolbild)
Ursprünglich hatte die Wohnung der (2002 verstorbenen) Mutter der Beklagten gehört, ab 2002 dann deren Gesamtrechtsnachfolgern, nämlich dem (2007 verstorbenen) Vater der Beklagten sowie ihrem Bruder.
Die Beklagte behauptete, dass ihr die Wohnung aufgrund einer Nutzungsvereinbarung aus 2003 mit den damaligen Eigentümern (Vater und Bruder) überlassen wurde.
In dieser Nutzungsvereinbarung war ein lebenslanges Nutzungsrecht der Beklagten vorgesehen. Sie sollte lediglich die laufenden Betriebskosten bezahlen, im Gegenzug "evtl. notwendige" Pflegeleistungen erbringen:
"§ 2 Nutzungszeitraum
Der Nutzungszeitraum wird lebenslänglich für Frau A.V. [= Bekl.] festgelegt. Die Dauernutzung beginnt ab sofort und gilt auch über den Tod von Ad.V..
Sofern A.V. die Nutzungsvereinbarung kündigt, wird eine Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Quartalsende vereinbart.
Bei Verkaufsabsichten bedarf es einer einvernehmlichen Regelung zwischen allen Beteiligten. Eine Kündigung ist ausgeschlossen.
§ 3 Nutzungsgebühr
Als Gegenleistung zur Nutzung wird eine evtl. notwendige Pflege von Herrn Ad.V. durch A.V. geleistet.
In gegenseitiger Abstimmung ist auch weiterhin eine Nutzung durch Ad.V. oder V. möglich.
Frau A.V. verpflichtet sich, sämtliche laufenden Betriebskosten der Wohnung zu zahlen. Ein weiterer Mietzins wird nicht vereinbart, da das Nutzungsrecht mit der o.g. Leistung abgegolten ist." (Rdnr. 3)
Die Kläger forderten im Januar 2010 Nutzungsentschädigung für die Wohnung und Vorauszahlungen auf die Betriebskosten. Die Beklagte erbrachte zunächst keinerlei Zahlungen. Die Kläger kündigten vorsorglich fristlos.
Amts- und Landgericht wiesen die Klage ab.
Entgegen der Auffassung der Kläger gingen die Instanzgerichte (letztlich) davon aus, dass die Beklagte über ein rechtlich wirksames Mietverhältnis mit den Voreigentümern verfügte, welches im Wege der Zwangsversteigerung gemäß § 57 ZVG, § 566 BGB auf die Kläger als Ersteigerer übergegangen sei.
§ 57 ZVG lautet:
"Ist das Grundstück einem Mieter oder Pächter überlassen, so finden die Vorschriften der §§ 566, 566a, 566b Abs. 1, §§ 566c und 566d des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Maßgabe der §§ 57a und 57b entsprechende Anwendung."
§ 566 BGB lautet:
"(1) Wird der vermietete Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter von dem Vermieter an einen Dritten veräußert, so tritt der Erwerber anstelle des Vermieters in die sich während der Dauer seines Eigentums aus dem Mietverhältnis ergebenden Rechte und Pflichten ein.
(2) ..."
Der BGH hob die landgerichtliche Entscheidung auf und verwies die Sache zur weiteren Verhandlung an eine andere Kammer des Landgerichts zurück..
Er beanstandete wesentliche Teile der Beweiswürdigung.
Aus den Gründen:
"Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung können die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche auf Räumung der Wohnung (§ 985 BGB) und auf Zahlung von Nutzungsentschädigung (§ 812 Abs. 1 Satz 1BGB) nicht verneint werden. Die Annahme des Berufungsgerichts, dass die Beklagte im Jahr 2003 mit ihrem Vater und ihrem Bruder als den damaligen Eigentümern der Wohnung einen - mit dem Zuschlagsbeschluss auf die Kläger übergegangenen - Mietvertrag abgeschlossen habe, beruht auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung, die wesentliche Umstände außer Betracht lässt (§ 286 BGB)." (Rdnr. 13)
Zunächst stört sich der BGH daran, dass das Landgericht zwar Zweifel an der vorgelegten schriftlichen Vertragsurkunde hatte, dann aber auf einen mündlichen Mietvertrag auswich:
"Die Beklagte hat keine Erklärung dazu abgegeben, wie es zu der Erstellung und Übergabe der Vertragskopie gekommen sein soll und warum sie das Original trotz entsprechender Aufforderungen im Prozess nicht vorgelegt hat. Das Berufungsgericht sieht selbst, dass sich daraus zumindest der Verdacht ergibt, dass die 'Urkunde' von der Beklagten lediglich 'nachgeschoben', das heißt erst nach dem Tod des Vaters erstellt worden sein könnte. Dann ist es aber ebenso fraglich, ob es imJahr 2003 zu einem mündlichen Vertragsabschluss gekommen ist." (Rdnr. 15)
Soweit das Landgericht darauf abstellte, dass der Bruder der Beklagten einmal in einem Schreiben an einen Dritten (Zwangsverwalter) einen mündlichen Mietvertrag erwähnte, sah der BGH hierdurch - im Gegensatz zum Landgericht - zusätzliche Zweifel begründet:
"In seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht hat der Zeuge keine plausible Erklärung dafür abgeben können, warum er sich in seinem Schreiben an den Zwangsverwalter lediglich auf eine mündliche Absprache bezogen hat. Dass ihm damals nur eine mündliche Abrede in Erinnerung geblieben sein soll, obwohl er selbst als Vermieter eine schriftliche Vereinbarung mit keineswegs alltäglichen Regelungen unterzeichnet haben soll, erscheint kaum nachvollziehbar. Aufgrund der beruflichen Tätigkeit des Zeugen als Immobilienkaufmann wäre im Übrigen auch zu erwarten gewesen, dass er den Abschluss eines Mietvertrages, an dem er selbst als Vermieter beteiligt sein soll, in Erinnerung behält. Das (angebliche) Vergessen ist deshalb geeignet, Zweifel an der gesamten Darstellung des Zeugen zu wecken, zumal er auch ein persönliches Interesse daran hat, seiner Schwester die aus dem Familienbesitz stammende Wohnung zu erhalten." (Rdnr. 19)
Außerdem habe sich die Beklagte auch bei ihren Betriebskostenzahlungen (teilweise) widersprüchlich verhalten.
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))