BGH, 03.12.2013 - VI ZR 24/13: Grenzen fiktiver Abrechnung bei tatsächlich durchgeführter Reparatur?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte sich in seinem Urteil vom 03.12.2013 mit der Frage zu befassen, wie sich die Höhe des Schadensersatzes nach einem Verkehrsunfall berechnet, wenn der Geschädigte die fiktive Abrechnung (Abrechnung nach Gutachten) wählt, den Kraftfahrzeugsachschaden sach- und fachgerecht in dem Umfang repariert, der sich aus dem Sachverständigengutachten ergibt, und die Reparaturkosten den Wert aus dem Sachverständigengutachten unterschreiten.
Hintergrund des entschiedenen Falles bildete ein Verkehrsunfall aus dem Oktober 2010.
Die volle Einstandspflicht der Beklagtenseite ist dem Grunde nach unstreitig.
Der (nicht zum Vorsteuerabzug berechtigte) Kläger hatte über den ihm entstandenen Sachschaden ein Sachverständigengutachten erstellen lassen. Diese kam zu folgendem Ergebnis:
Reparaturkosten, netto: € 7.014,05
Reparaturkosten, brutto: € 8.346,72
Der Kläger ließ das Fahrzeug entsprechend dem Gutachten fachgerecht reparieren. Die Werkstatt berechnete (nur):
Reparaturkosten, netto: € 6.295,98
Reparaturkosten, brutto: € 7.492,22
Die gegnerische Haftpflichtversicherung ersetzte dem Kläger (nur) € 7.492,22, d.h. die tatsächlich entstandenen Reparaturkosten (brutto).
Der Kläger begehrte mit der Klage:
Reparaturkosten gemäß Gutachten (€ 7.014,05), netto zzgl. tatsächlich gezahlter Mehrwertsteuer (€ 1.196,24) abzüglich von der Versicherung gezahlter € 7.492,22, d.h. verbleibender: € 718,07.
Amtsgericht und Landgericht gaben dem Kläger recht.
Das Berufungsgericht ließ die Revision zum BGH zu.
(Symbolbild)
Der BGH wies die Klage ab.
Er legt zunächst dar, dass im Rahmen einer fiktiven Abrechnung grundsätzlich die Verrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde zu legen sind. Unter Umständen komme allerdings - auch noch im Rechtsstreit - eine Verweisung des Geschädigten auf eine gleichwertige, günstigere Reparaturmöglichkeit zu den Stundenverrechnungssätzen einer "freien Werkstatt" in Betracht:
"Der Geschädigte darf, sofern die Voraussetzungen für eine fiktive Schadensberechnung vorliegen, dieser grundsätzlich die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legen, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats besteht grundsätzlich ein Anspruch des Geschädigten auf Ersatz der in einer markengebundenen Vertragswerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob der Geschädigte den Wagen tatsächlich voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt. Allerdings ist unter Umständen - auch noch im Rechtsstreit - ein Verweis des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen anderen markengebundenen oder 'freien' Fachwerkstatt möglich, wenn der Schädiger darlegt und gegebenenfalls beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht und der Geschädigte keine Umstände aufzeigt, die ihm eine Reparatur außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt unzumutbar machen." (Rdnr. 9)
Allerdings haben die im Sachverständigengutachten enthaltenen Zahlen keine absolute Geltung. Bei zumutbarer Verweisung der Schädigerseite auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit ist nach dieser abzurechnen:
"Die Verweisung des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit lässt der erkennende Senat deshalb zu, weil die Angaben des Sachverständigen in seinem Gutachten zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten keinesfalls stets verbindlich den Geldbetrag bestimmen, der im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB zur Herstellung erforderlich ist. ... Kann die Schädigerseite die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer preiswerteren Werkstatt ausreichend darlegen und notfalls beweisen, ist auf der Grundlage der preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen." (Rdnr. 10)
Im entschiedenen Fall habe der Geschädigte gleichsam selbst auf eine ihm zumutbare, kostengünstigere Reparaturmöglichkeit hingewiesen. Eine (vorherige) Verweisung der Schädigerseite habe es daher gar nicht bedurft. In einem solchen Fall sei es selbstverständlich, dass auch im Rahmen der fiktiven Abrechnung nur die tatsächlich angefallenen, niedrigeren Reparaturkosten zu ersetzen seien:
"Angesichts dieser Rechtslage versteht es sich von selbst, dass auf der Grundlage einer preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen ist, wenn ein Verweis der Schädigerseite darauf nicht einmal erforderlich ist, weil der Geschädigte die Möglichkeit einer vollständigen und fachgerechten, aber preiswerteren Reparatur selbst darlegt und sogar wahrgenommen hat. Der Vortrag des Geschädigten, trotzdem sei der vom Sachverständigen angegebene Betrag zur Herstellung erforderlich, ist dann unschlüssig. Eine abweichende Betrachtung würde dazu führen, dass der Geschädigte an dem Schadensfall verdient, was dem Verbot widerspräche, sich durch Schadensersatz zu bereichern." (Rdnr. 11)
Der BGH hob noch hervor, dass der vorliegende Fall (in dem vollständig und fachgerecht repariert wurde) nichts mit der Beantwortung der streitigen Frage zu tun hat, ob sonst bei einer fiktiven Abrechnung tatsächlich entstandene Mehrwertsteuer neben den aus dem Gutachten ersichtlichen Nettoreparaturkosten verlangt werden könne:
"Auf die vom Berufungsgericht erörterte umstrittene Frage, ob bei fiktiver Abrechnung unter Umständen tatsächlich aufgewendete Umsatzsteuer neben den vom Sachverständigen ermittelten Nettoreparaturkosten ersetzt verlangt werden kann, wenn der Geschädigte sich mit einer Eigen-, Teil- oder Billigreparatur zufrieden gibt, kommt es für die vorliegende Fallgestaltung nicht an." (Rdnr. 13)
(Quelle: BGH, Urteil v. 03.12.2013, VI ZR 24/13)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))