OLG Düsseldorf, 24.03.2015 - I-1 U 42/14: Mietwagen - Gericht spricht sich gegen Schwacke-Liste aus
Mit Urteil vom 24.03.2015 sprach sich das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf dafür aus, die Schätzung der nach einem Verkehrsunfall anfallenden, ersatzfähigen Mietwagenkosten im regionalen Bereich des OLG-Bezirks grundsätzlich auf Basis des Fraunhofer-Marktpreisspiegels - und somit nicht auf Grundlage der Schwacke-Liste - vorzunehmen:
"Der Senat macht vorliegend von der Möglichkeit einer eigenen Ermessensausübung Gebrauch. Aus Sicht des Senats ist der Fraunhofer-Marktpreisspiegel als Schätzgrundlage gemäß § 287 ZPO - jedenfalls was den hiesigen regionalen Markt angeht - gegenüber der 'Schwacke-Liste' grundsätzlich vorzugswürdig. Der durchschnittliche 'Normaltarif' ist daher grundsätzlich – so auch im vorliegenden Fall - anhand des Fraunhofer-Marktpreisspiegels und nicht anhand der 'Schwacke-Liste' zu schätzen. Daher kann die im Streit stehende Frage, ob die Beklagten die Eignung der 'Schwacke-Liste' als Schätzgrundlage im konkreten Fall erschüttert haben dahinstehen." (Rdnr. 36)
Die Entscheidung setzt sich ausführlich mit den in der uneinheitlichen Rechtsprechung:
"In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird teilweise eine Schätzung der erforderlichen Mietwagenkosten allein auf Basis der 'Schwacke-Liste' (z.B. OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.12.2011, Az. 4 U 106/11; OLG Köln, Urteil vom 26.02.2013, Az. 3 U 141/12; OLG Köln, Urteil vom 18.08.2010, Az. 5 U 44/10; OLG Dresden, Urteil vom 18.12.2013, Az. 7 U 831/13 - jeweils zitiert nach juris) und teilweise eine Schätzung allein auf Basis des Fraunhofer-Marktpreisspiegels (z.B. OLG Hamburg, Urteil vom 15.05.2009, Az. 14 U 175/08; OLG Frankfurt, Urteil vom 24.06.2010, Az. 16 U 14/10; OLG Köln, Urteil vom 21.08.2009, Az. 6 U 6/09; OLG München, Urteil vom 25.07.2008, Az. 10 U 2539/08; OLG Jena, Urteil vom 27.11.2008, Az. 1 U 555/07 - jeweils zitiert nach juris) vorgenommen. Aufgrund der diskutierten Vor- und Nachteile beider Erhebungen wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung auch eine Schadensschätzung nach dem arithmetischen Mittel beider Markterhebungen (sogenannte 'Fracke-Lösung') befürwortet, um auf diese Weise die Schwächen der beiden Erhebungsmethoden auszugleichen (z.B.: OLG Karlsruhe, Urteil vom 01.02.2013, Az. 1 U 130/12; OLG Celle, Urteil vom 09.10.2013, Az. 14 U 51/13; OLG Hamm, Urteil vom 20.07.2011, Az. 13 U 108/10; OLG Köln, Urteil vom 01.08.2013, Az. 15 U 9/12; OLG Zweibrücken, Urteil vom 22.01.2014, Az. 1 U 165/11; OLG Saarbrücken, Urteil vom 22.12.2009, Az. 1 U 165/11 – jeweils zitiert nach juris). Von den Berufungskammern einiger Landgerichte werden auch prozentuale Zuschläge auf die Tarife des Fraunhofer-Marktpreisspiegels (z. B. LG Ingolstadt, Urteil vom 23.08.2011, Az. 22 S 143/11 - plus 25 %; LG Rostock, Urteil vom 24.11.2011, Az. 1 S 299/10 - plus 20 %; LG Bochum, Beschluss vom 02.12.2013, Az. 9 S 145/13 - plus 20 % - jeweils zitiert nach juris) bzw. prozentuale Abschläge auf die Tarife der 'Schwacke-Liste' (z. B.: LG Mönchengladbach, Urteil vom 14.05.2013, Az. 3 S 29/13 - minus 17 % - zitiert nach juris) vorgenommen, um auf diese Weise die Nachteile der jeweiligen Schätzgrundlage zu kompensieren." (Rdnr. 42)
vertretenen Argumenten pro und contra der beiden Listen auseinander.
(Symbolbild)
Das wesentliche Argument des OLG Düsseldorf gegen "Schwacke" ist offenbar der Umstand, dass zwar eine breitere Datenbasis bestehe, gleichwohl aber die Datenerhebung nicht anonymisiert erfolge. Daher könnten die Mietwagenanbieter geneigt sein, auf entsprechende Anfragen bewusst höhere Preise mitzuteilen.
In dieser Annahme sieht sich das OLG - für seinen regionalen Markt - wohl auch dadurch bestätigt, dass die Werte von "Schwacke" oft wesentlich über den Werten von "Fraunhofer" lägen:
"Für den Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf wird die Annahme, dass die Mietpreise gemäß 'Schwacke-Liste' regelmäßig deutlich über dem tatsächlichen durchschnittlichen Marktpreis liegen durch die Erfahrungen des Senats aus anderen Verfahren, in denen ebenfalls die Angemessenheit des Mietpreises gemäß der 'Schwacke-Liste' zwischen Schädiger und Geschädigtem im Streit stand und in denen die Schädiger günstigere Vergleichsangebote vorgelegt haben, indiziell gestützt. Mögen die jeweils vorgelegten Vergleichsangebote auch nicht immer den vom Bundesgerichtshof aufgestellten strengen Anforderungen zur Vergleichbarkeit als Voraussetzung zur Erschütterung der Schätzgrundlage im konkreten Fall (vgl. hierzu BGH NJW 2013, 1539, Rn. 10 f. m. N.) genügt haben, so haben sie gleichwohl aufgezeigt, dass im Wesentlichen vergleichbare Mietfahrzeuge zu deutlich niedrigeren Preisen – nicht selten für etwa den halben Preis - als dem in der 'Schwacke-Liste' genannten Durchschnittspreis hätten angemietet werden können. Selbst wenn man wegen der nicht immer eindeutigen Vergleichbarkeit der Alternativangebote, weil z.B. der Anmietort oder die Anmietzeit nicht identisch waren, zu Gunsten des Geschädigten einen großzügigen Aufschlag von beispielsweise 25 % auf den Preis der Alternativangebote gemacht hätte, so hätte der Mietpreis der Alternativangebote häufig immer noch nennenswert unter dem Durchschnittspreis gemäß der 'Schwacke-Liste' gelegen. Demgegenüber entsprachen die in den Alternativangeboten genannten Mietpreise regelmäßig in etwa dem durchschnittlichen Mietpreis gemäß dem Fraunhofer-Marktpreisspiegel. Dies spricht aus Sicht des Senats dafür, dass der Fraunhofer-Marktpreisspiegel zumindest den hier maßgeblichen regionalen Markt realistischer abbildet als die 'Schwacke-Liste'." (Rdnr. 60)
Dass der Auftragegeber der Ergebung des Fraunhofer-Mietpreisspiegels der Verband der deutschen Versicherungswirtschaft sei, hat das OLG nicht für durchgreifend angesehen:
"Für den Fraunhofer-Marktpreisspiegel spreche, dass er auf anonymen Abfragen beruht und so etwaige Manipulationen durch bewusste Nennung höherer Preise seitens der befragten Mietwagenunternehmen vermieden würden. Als Nachteil der Vorgehensweise der Fraunhofer-Erhebung wird aufgeführt, dass sie überwiegend auf eingeholten Internetangeboten beruht, was Zweifel an der Repräsentativität der erhobenen Daten begründe. Zudem lasse sich eine Zugriffsmöglichkeit des Geschädigten auf das Internet nicht grundsätzlich unterstellen. Hinzu komme, dass sämtlichen ermittelten Tarifen eine bei kurzfristiger Anmietung nach Verkehrsunfällen kaum realistische einwöchige Vorbuchungsfrist zugrunde liege. Desweiteren wird die Seriosität und Unabhängigkeit der Erhebung des Fraunhofer-Instituts in Zweifel gezogen, weil Auftraggeber der Studie der Verband der deutschen Versicherungswirtschaft ist, der ein Interesse an einem möglichst geringen 'Normaltarif' habe." (Rdnr. 41)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))