BSG, 02.05.2012 - B 11 AL 6/11 R: Zur Sperrzeit (ALG) bei einer Kündigung gemäß § 1a KSchG
In einer Entscheidung vom 02.05.2012 verneinte das Bundessozialgericht (BSG) im Zusammenhang mit einer Kündigung nach § 1a KSchG den Eintritt einer Sperrzeit.
Maßgeblich hierfür waren eine Vielzahl von Einzelumständen, wie sich aus der umfangreichen Entscheidungsbegründung ergibt.
Vor vorschneller Verallgemeinerung muss daher gewarnt werden. Betroffene sollten auf jeden Fall qualifizierten Rat einholen.
Im entschiedenen Fall hatte eine schwerbehinderte Arbeitnehmerin, der seitens der Arbeitgeberin eine betriebsbedingte Kündigung angedroht wurde, einen Aufhebungsvertrag geschlossen, der das Arbeitsverhältnis
"auf Veranlassung des Unternehmens zur Vermeidung einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung unter Einhaltung der tariflichen bzw einzelvertraglichen Kündigungsfristen zum 30.11.2005"
beendete. Die Klägerin erhielt eine Abfindung in Höhe von 47.000,00 €.
Die Bundesagentur für Arbeit verhängte eine Sperrzeit beim Bezug von Arbeitslosengeld für 12 Wochen vom 1.12.2005 bis 22.2.2006 und stellte außerdem die Verminderung der Gesamtanspruchsdauer des Arbeitslosengeldes fest.
(Symbolbild)
Die Arbeitnehmerin klagte durch drei Instanzen. Sie hatte Erfolg. Das BSG stellte im Einklang mit den Vorinstanzen fest, dass der Klägerin für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses ein wichtiger Grund zur Seite gestanden hat und deshalb keine Sperrzeit eintrat.
Dabei stellte das BSG maßgeblich auf die Wertungen des Gesetzgebers im Zusammenhang mit der Einführung des § 1a KSchG ab.
Diese lautet:
"(1) Kündigt der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 und erhebt der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 keine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, hat der Arbeitnehmer mit dem Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine Abfindung. Der Anspruch setzt den Hinweis des Arbeitgebers in der Kündigungserklärung voraus, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und der Arbeitnehmer bei Verstreichenlassen der Klagefrist die Abfindung beanspruchen kann.
(2) Die Höhe der Abfindung beträgt 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. § 10 Abs. 3 gilt entsprechend. Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden."
Unter Anknüpfung an die gesetzgeberische Begründung führt das BSG diesbezüglich aus (Rdnr. 21):
"Nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 15/1204 S 9; vgl auch BT-Drucks 15/1587 S 27) wollte der Gesetzgeber mit dieser neuartigen kündigungsschutzrechtlichen Regelung den Arbeitsvertragsparteien im Fall einer betriebsbedingten Kündigung eine einfache, effiziente und kostengünstige vorgerichtliche Klärung der Voraussetzungen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses anbieten. Zu § 1a Abs 1 KSchG heißt es weiter: 'Der gesetzliche Abfindungsanspruch kommt nur bei betriebsbedingten Kündigungen in Betracht, weil hier der Kündigungsgrund der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen ist. Der Abfindungsanspruch ist auf ordentliche Kündigungen beschränkt'. Zwar hat der Gesetzgeber mit § 1a KSchG unmittelbar nur das Kündigungsrecht geändert; diese Änderung hat jedoch Auswirkungen auch auf das Arbeitsförderungsrecht. Dass der Gesetzgeber dieses während des Gesetzgebungsverfahrens erkannt hat, wird - wie bereits das LSG zutreffend herausgearbeitet hat - daran deutlich, dass im Blick auf das Sperrzeitrecht von einer ausdrücklichen gesetzlichen Klarstellung deshalb abgesehen worden ist, weil nach der Rspr des BSG die bloße Hinnahme einer Arbeitgeberkündigung keine Sperrzeit auslöse (vgl BT-Drucks 15/1587 S 27). Demgemäß hat der erkennende Senat in seiner bereits erwähnten Entscheidung vom 12.7.2006 (BSGE 97, 1, 5 f = SozR 4-4300 § 144 Nr 13, RdNr 19 bis 20), die eine Fallgestaltung vor Inkrafttreten des § 1a KSchG am 1.1.2004 zum Gegenstand hatte, ausdrücklich erwogen, dass die unmittelbar nur auf das Arbeitsrecht bezogene 'Öffnung' für eine Beendigung von Arbeitsverhältnissen "Veranlassung dafür geben (könnte), künftig einen wichtigen Grund bei Abschluss eines Aufhebungsvertrags ohne die ausnahmslose Prüfung der Rechtmäßigkeit der drohenden Arbeitgeberkündigung anzuerkennen". Diese Aussage hat der Senat in seiner Entscheidung vom 8.7.2009 (B 11 AL 17/08 R - BSGE 104, 57 = SozR 4-4300 § 144 Nr 20, RdNr 19) - ebenso wenig entscheidungstragend - wiederholt." (Hervorhebung nicht im Original)
Wichtig:
Das BSG "klopft" in der Entscheidungsbegründung eine ganze Reihe weiterer, vom Einzelfall abhängiger Gesichtspunkte ab, die es im konkreten Fall ebenfalls zu beachten gilt.
Schließlich weist das BSG darauf hin, dass die Entscheidung gegen eine Sperrzeit auch voraussetze, dass
"keine Anhaltspunkte für eine Gesetzesumgehung zu Lasten der Versichertengemeinschaft" (Rdnr. 24)
vorliegen. Andernfalls müsste man der Frage nach der objektiven Rechtmäßigkeit der Kündigung nachgehen, was - je nach Einzelfall - zu einer abweichenden Entscheidung führen kann.
Wann nun solche "Anhaltspunkte" vorliegen, kann das BSG natürlich nicht abschließend darlegen. Der Entscheidung lassen sich aber immerhin einige Punkte entnehmen, die kritisch werden könnten:
BSG, Rdnr. 24:
"Offenbleiben kann hier, ob dies auch dann gelten soll, wenn der Aufhebungsvertrag nicht anstelle einer bereits ausgesprochenen oder drohenden Kündigung des Arbeitgebers geschlossen wird, sondern schon im Vorfeld eine Vereinbarung über die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung getroffen wird."
BSG, Rdnr. 27 :
"Anders als bei Vereinbarung der gesetzlich vorgesehenen Abfindungshöhe kann allerdings bei frei vereinbarter Abfindungssumme, namentlich dann, wenn die Abfindungssumme die Grenzen des § 1a Abs 2 KSchG deutlich überschreitet, ein Anhaltspunkt für einen 'Freikauf' gegeben sein."
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))