BVerfG, 10.03.2016 - 1 BvR 2844/13: Meinungsfreiheit schützt auch emotionalisierte Bewertungen
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich in einem Beschluss vom 10.03.2016 mit der Frage zu befassen, ob die Beschwerdeführerin einer Verfassungbeschwerde durch zivilgerichtliche Unterlassungsurteile in ihren verfassungsrechtlichen Rechten, insbesondere dem Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG), verletzt wurde.
Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG lautet:
"(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. ..."
Hintergrund der Entscheidung des BVerfG bildete - im wesentlichen - folgender Fall:
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine zivilgerichtliche Unterlassungsverurteilung.
Der Kläger des Zivilverfahrens war Moderator, Jornalist und Unternehmer. Kläger und Beklagte (Beschwerdeführerin) waren persönlich eng verbunden. Im Jahre 2010 zeigte die Beschwerdeführerin den Kläger wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung an. In einem darauffolgenden Strafverfahren wurde der Kläger freigesprochen.
Nach dem Freispruch - aber ohne dass dieser bereits rechtskräftig war - äußerten sich zunächst der Kläger und sein Rechtsanwalt über das Verfahren und die Beschwerdeführerin; anschließend äußerte sich die Beschwerdeführerin.
Die Äußerungen erfolgten öffentlich.
Der Kläger verlangte von der Beschwerdeführerin Unterlassung diverser Äußerungen.
Der Kläger erzielte (u.a.) eine Verurteilung der Beschwerdeführerin durch das Oberlandesgericht (OLG) Köln, Urteil v. 06.112012, 15 U 97/12.
(Symbolbild)
Das BVerfG hob diese Entscheidung auf und verwies die Sache an das OLG zurück.
Das BVerfG erkannte auf eine Verletzung der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin. Es führte unter anderem aus:
"Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG." (Rdnr. 20)
Die zivilgerichtlichen Entscheidungen hätten bei der gebotenen Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin letztere in unzulässiger Weise eingeschränkt:
"Die angegriffenen Entscheidungen genügen diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht. Die von den Gerichten vorgenommene Abwägung zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin schränkt die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin in verfassungsrechtlich nicht mehr tragbarer Weise ein." (Rdnr. 26)
Insbesondere wäre zu Lasten der Beschwerdeführerin nicht genügend berücksichtigt worden, dass die Meinungsfreiheit im vorliegenden Fall nicht nur eine sachliche Darstellung, sondern auch eine emotionalisierte Bewertung geschützt habe:
"Indem die Gerichte aber davon ausgingen, dass sich die Beschwerdeführerin auf die Wiedergabe der wesentlichen Fakten und eine sachliche Darstellung des behaupteten Geschehens zu beschränken habe, verkennen sie die durch das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert zu bewerten. Diese Auffassung übersieht auch das öffentliche Interesse an einer Diskussion der Konsequenzen und auch Härten, die ein rechtsstaatliches Strafprozessrecht aus Sicht möglicher Opfer haben kann. Zudem haben die Gerichte in die erforderliche Abwägung nicht den Druck eingestellt, der auf der Beschwerdeführerin lastete und sie dazu brachte, das Ergebnis des weithin von der Öffentlichkeit begleiteten Prozesses kommunikativ verarbeiten zu wollen." (Rdnr. 27)
(Quelle: BVerfG, Beschluss v. 10.03.2016, 1 BvR 2844/13; Pressemitteilung Nr. 21/2016 v. 29.04.2016)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))