BAG, 16.03.2016 - 4 AZR 421/15: Zur Wahrung einer außergerichtlichen Ausschlussfrist durch Klage
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich am 16.03.2016 mit der Frage zu befassen, ob eine tarifliche Ausschlussfrist, nach der der Anspruch gegenüber dem Vertragspartner schriftlich geltend gemacht werden muss, auch dann gewahrt ist, wenn der Anspruch (gleich) durch eine Klage geltend gemacht wird, bei der die Klageschrift zwar innerhalb der Frist bei Gericht eingeht, aber erst nach Fristablauf beim Gegner zugestellt wird.
1.
Konkret ging es um die Bestimmung des § 37 Abs. 1 S. 1 TVöD (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst). Diese lautet:
"Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von der/dem Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. ..."
Entsprechende Bestimmungen finden sich etwa auch in den § 37 Abs. 1 S. 1 TV-L (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder), der für die meisten Bundesländer gilt:
"Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von den Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. ..."
sowie insbesondere auch in § 37 Abs. 1 S. 1 TV-H (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen):
"Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit von den Beschäftigten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden. ..."
Alle diese Tarifverträge enthalten also eine Ausschlussfrist, die eine außergerichtliche Geltendmachung im Wege eines Anspruchsschreibens innerhalb von sechs Monaten vorsieht.
(Symbolbild)
Nicht erforderlich ist - wie bei vielen anderen Ausschlussfristen - eine (zusätzliche) gerichtliche Geltendmachung.
Nach allgemeinen Grundsätzen, wie sie etwa auch für ganz gewöhnliche Willenserklärungen gelten, kommt es übrigens hinsichtlich der Wahrung der Ausschlussfrist durch ein Anspruchsschreiben nicht auf die Absendung, sondern auf den fristgerechten Zugang beim Empfänger an:
Will also ein Arbeitnehmer im Geltungsbereich der obigen Tarifverträge einen Anspruch, zum Beispiel auf Lohnzahlung, durch ein Anspruchsschreiben vor dem Verfall wahren, so muss er dafür Sorge tragen, dass das entsprechende Schreiben rechtzeitig der Arbeitgeberseite zugeht. Bestreitet die Arbeitgeberseite den rechtzeitigen Zugang, so muss der Arbeitnehmer diesen auch beweisen können, etwa durch eine Empfangsbestätigung der Gegenseite oder durch Zeugnis des bei der Übergabe anwesenden Boten.
2.
Was zunächst einfach klingt, kann durchaus schwierige rechtliche Probleme aufwerfen, wie der streitgegenständliche Fall des BAG zeigt.
Der klagende Arbeitnehmer begehrte von seinem Arbeitgeber eine Lohndifferenz für Juni 2013. Fällig war der streitige Arbeitslohn - wir vernachlässigen mal die Frage des Wochentages - zum Monatsletzten, d.h. zum 30.06.2013.
Insofern lautet § 24 Abs. 1 TVöD:
"Bemessungszeitraum für das Tabellenentgelt und die sonstigen Entgeltbestandteile ist der Kalendermonat, soweit tarifvertraglich nicht ausdrücklich etwas Abweichendes geregelt ist. Die Zahlung erfolgt am letzten Tag des Monats (Zahltag) für den laufenden Kalendermonat auf ein von der/dem Beschäftigten benanntes Konto innerhalb eines Mitgliedstaats der Europäischen Union. ..."
Die Ausschlussfrist für die schriftliche Geltendmachung liefe dann - so jedenfalls in der Pressemitteilung des BAG mitgeteilt - zum 30.12.2013 ab.
Der Kläger hatte allerdings seinen vermeintlichen Anspruch nicht durch ein Anspruchsschreiben geltend gemacht, sondern gleich Klage zum Arbeitsgericht auf Zahlung erhoben.
Die Klage ging am 18.12.2013 beim Arbeitsgericht ein, wurde aber erst - außerhalb der zum 30.12.2013 ablaufenden Ausschlussfrist - am 07.01.2014 beim Arbeitgeber zugestellt.
Auf den ersten Blick spricht dies gegen die Einhaltung der sechsmonatigen Ausschlussfrist, da diese ja den rechtzeitigen Zugang beim Arbeitgeber voraussetzt.
Allerdings gibt es eine prozessrechtliche Sondervorschrift, nämlich § 167 ZPO, wonach die Zustellung einer Klageschrift unter Umständen auf den Zeitpunkt zuückwirkt, zu dem die Klage beim Gericht einging:
"Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt werden oder die Verjährung neu beginnen oder nach § 204 des Bürgerlichen Gesetzbuchs gehemmt werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrags oder der Erklärung ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt."
Der Kläger war der Auffassung, dass diese Bestimmung auch im vorliegenden Fall zu einer Rückwirkung der von ihm zu wahrenden schriftlichen Anspruchsgeltendmachung führen müsste.
Das BAG lehnte aber - anders als die Vorinstanzen - eine entsprechende Anwendung des § 167 ZPO auf außergerichtliche Ausschlussfristen ab. Insoweit heißt es in der Pressemitteilung:
"§ 167 ZPO [ist] auf tarifliche Ausschlussfristen, die durch eine bloße schriftliche Geltendmachung gewahrt werden können, nicht anwendbar [...]. [Der Vierte Senat] folgt damit der langjährigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, nach der der Gläubiger einer Forderung sich den Zeitverlust durch die - in der Sache nicht zwingend erforderliche - Inanspruchnahme des Gerichts selbst zuzurechnen hat."
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))