BGH, 29.04.2015 - VIII ZR 197/14: Mängelansprüche wegen Umweltmängeln (Bolzplatz) - Kinderlärm
Der für Wohnraummietsachen zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hatte sich in seinem Urteil vom 29.04.2015 mit der Frage zu befassen, unter welchen Umständen ein Mieter einer Wohnung Mängelrechte wegen eines sog. Umweltmangels geltend machen kann.
Konkret ging es im entschiedenen Fall um Lärmbelästigungen von einem Nachbargrundstück (Bolzplatz einer Schule). Dabei spielte auch die Frage der Bewertung von Kinderlärm eine Rolle.
Im entschiedenen Fall lang ein langjähriges Mietverhältnis über eine Erdgeschosswohnung mit Terrasse vor. Auf dem Nachbargrundstück befand sich eine Schule; dort wurde im Jahr 2010 ein Bolzplatz errichtet. Die Entfernung zur Terrasse der Mieter betrug 20 Meter.
Die Mieter rügten Lärmbeeinträchtigungen und minderten die Miete um 20 %.
(Symbolbild Fußballspiel)
Die gesetzliche Bestimmung zur Mietminderung findet sich in § 536 Abs. 1 BGB:
"(1) Hat die Mietsache zur Zeit der Überlassung an den Mieter einen Mangel, der ihre Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch aufhebt, oder entsteht während der Mietzeit ein solcher Mangel, so ist der Mieter für die Zeit, in der die Tauglichkeit aufgehoben ist, von der Entrichtung der Miete befreit. Für die Zeit, während der die Tauglichkeit gemindert ist, hat er nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Eine unerhebliche Minderung der Tauglichkeit bleibt außer Betracht."
Die Vermieter hielten die Mietminderung für unberechtigt und klagten u.a. auf Nachzahlung der geminderten Beträge.
Vor dem Amts- und Landgericht hatten die Vermieter keinen Erfolg.
Der BGH hob dagegen die klageabweisende Entscheidung auf und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht zurück.
In diesem Zusammenhang wies der BGH unter anderem auf folgendes hin:
1.
Auch wenn die Mieter bei Beginn des Mietverhältnisses die Vorstellung hatten, dass es nicht zu Geräuschimmissionen durch den späteren Bolzplatz kommen würde, so sind derartige einseitige Vorstellungen nicht geeignet, eine (stillschweigende/konkludente) Beschaffenheitsvereinbarung zu tragen. Vielmehr müssten hierfür auch die Vermieter in irgendeiner Weise auf eine derartige Vorstellung der Mieter zustimmend reagieren. Ansonsten kommt keine Vereinbarung zustande:
"Mit Erfolg wenden sich die Revisionen gegen die vom Berufungsgericht nicht näher begründete Annahme, die Parteien hätten bei Abschluss des Mietvertrages im Wege einer konkludenten Beschaffenheitsvereinbarung festgelegt, dass während der unbestimmten Dauer des Mietverhältnisses von dem benachbarten Schulgelände keine höheren Lärmeinwirkungen ausgehen dürfen als bei Vertragsbeginn." (Rdnr. 18)
"Auch eine konkludente Vereinbarung setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Für die Annahme einer solchen Willensübereinstimmung bezüglich eines sogenannten Umweltfehlers reicht es jedoch nicht aus, dass der Mieter bei Vertragsschluss einen von außen auf die Mietsache einwirkenden Umstand - hier die von einem 'normalen' Schulbetrieb ausgehenden Geräuschimmissionen - als für ihn hinnehmbar wahrnimmt und er sich ungeachtet dieser von ihm als (noch) erträglich empfundenen Vorbelastung dafür entscheidet, die Wohnung anzumieten. Zur konkludent geschlossenen Beschaffenheitsvereinbarung wird dieser Umstand vielmehr nur, wenn der Vermieter aus dem Verhalten des Mieters nach dem objektiv zu bestimmenden Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) erkennen musste, dass der Mieter die Fortdauer dieses bei Vertragsschluss bestehenden Umstands über die unbestimmte Dauer des Mietverhältnisses hinweg als maßgebliches Kriterium für den vertragsgemäßen Gebrauch der Wohnung ansieht, und der Vermieter dem zustimmt. Eine einseitig gebliebene Vorstellung des Mieters genügt für die Annahme einer diesbezüglichen Willensübereinstimmung selbst dann nicht, wenn sie dem Vermieter bekannt ist. Erforderlich ist jedenfalls, dass der Vermieter darauf in irgendeiner Form zustimmend reagiert (...)." (Rdnr. 19)
2.
Im Hinblick auf die beim Vertragsbeginn herrschenden Umweltbedingungen muss im Übrigen berücksichtgt werden, dass die Vermieter hierauf regelmäßig keinen Einfluss haben. Auch deshalb wären an die Annahme einer (stillschweigenden/konkludenten) Beschaffenheitsvereinbarung besondere Anforderungen zu stellen:
"Soweit es um Lärmimmissionen geht, die von öffentlichen Straßen oder - wie hier - von einem Nachbargrundstück auf die Mietsache einwirken, ist im Übrigen der offensichtliche und beiden Parteien bekannte Umstand zu berücksichtigen, wonach der Vermieter regelmäßig keinen Einfluss darauf hat, dass die zu Mietbeginn bestehenden Verhältnisse während der gesamten Dauer des Mietvertrages unverändert fortbestehen. Der Mieter kann daher im Allgemeinen nicht erwarten, dass der Vermieter die vertragliche Haftung für den Fortbestand derartiger 'Umweltbedingungen' übernehmen will." (Rdnr. 21)
3.
Sofern Lärmeinwirkungen auf Kinder zurückzuführen wären, müsste auch berücksichtigt werden, dass im Immissionsschutzrecht eine diesbezügliche Privilegierung besteht, wobei der BGH ausdrücklich darauf hinweist, dass es sich dann eben auch um Kinder - und nicht etwa Jugendliche oder (junge) Erwachsende - handelt:
"Für den Begriff der Kinder, deren Lärm als Ausdruck eines besonderen Toleranzgebots der Gesellschaft durch die Vorschrift privilegiert werden soll, hat der Gesetzgeber die Definition in § 7 Abs. 1 SGB VIII heranziehen wollen, wonach Kind ist, wer noch nicht 14 Jahre alt ist, und Jugendlicher, wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist (BT-Drucks. 17/4836, S.4,6)." (Rdnr. 26)
"Wenn - was die Feststellungendes Berufungsgerichts bislang nicht tragen - von Kindern ausgehender Lärm eine wesentliche Ursache für die als Mangel beanstandeten Geräuschimmissionen gewesen sein sollte, wäre entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts allerdings § 22 Abs. 1a BImSchG zur Bewertung der Lärmeinwirkungen als Mangel der gemieteten Wohnung mit heranzuziehen." (Rdnr. 27)
§ 22 Abs. 1a BImSchG lautet:
"(1a) Geräuscheinwirkungen, die von Kindertageseinrichtungen, Kinderspielplätzen und ähnlichen Einrichtungen wie beispielsweise Ballspielplätzen durch Kinder hervorgerufen werden, sind im Regelfall keine schädliche Umwelteinwirkung. Bei der Beurteilung der Geräuscheinwirkungen dürfen Immissionsgrenz- und -richtwerte nicht herangezogen werden."
4.
Der BGH weist ferner darauf hin, dass Immissionen Dritter - zum Beispiel Kinder -, die die Vermieter selbst nicht rechtlich abwehren können - zum Beispiel wegen § 22 Abs. 1a BImSchG -, sondern hinnehmen müssen, auch grundsätzlich im Verhältnis Mieter und Vermieter keinen Mangel darstellen:
"Der Senat führt diese Rechtsprechung nunmehr dahin fort, dass nachträglich erhöhte Geräuschimmissionen durch Dritte jedenfalls dann grundsätzlich keinen gemäß § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Mietminderung führenden Mangel der Mietwohnung begründen, wenn auch der Vermieter sie ohne eigene Abwehr-oder Entschädigungsmöglichkeit als unwesentlich oder ortsüblich hinnehmen muss." (Rdnr. 35)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))