LAG Hamburg, 23.08.2017 - 5 SaGa 2/17: Zur vorläufigen Durchsetzung eines Beschäftigungsanspruchs
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg hatte sich in einem Urteil vom 23.08.2017 mit Fragen der vorläufigen Durchsetzung eines Beschäftigungsanspruchs im noch laufenden (mit sozialer Auslauffrist gekündigten) Arbeitsverhältnis zu befassen.
Die Arbeitgeberin, ein Versicherungsunternehmen, hatte der Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit einer krankheitsbedingten, außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist eine Freistellungsanordnung zukommen lassen. Die Kündigung wurde wegen behaupteter häufiger Kurzerkrankungen erklärt.
Die Arbeitnehmerin war mit der Freistellung nicht einverstanden und begehrte den Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks vorläufiger Durchsetzung ihres Beschäftigungsanspruchs.
Vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Hamburg unterlag die Arbeitnehmerin. Denn es fehle jedenfalls an einem dringenden Bedürfnis im Hinblick auf die geltende gemachte Erfüllung des Beschäftigungsanspruchs.
(Symbolbild)
Das LAG stellte sich auf die Seite der Arbeitnehmerin:
Es sei im vorliegenden Fall nicht erforderlich, dass diese ein besonderes Interesse für den geltend gemachten Beschäftigungsanspruch darlege:
"Es ist nicht erforderlich, dass die Verfügungsklägerin ihr allgemeines ideelles Beschäftigungsinteresse im Einzelfall gesondert begründet. Vielmehr besteht es aufgrund der grundrechtlichen Herleitung des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs zunächst ohne weiteres." (Rdnr. 43)
Daran ändere auch der von der Arbeitgeberin geltend gemachte Einwand einer Vorwegnahme der Hauptsache nichts:
"Vielmehr folgt der Verfügungsgrund in diesen Fällen bereits aus dem Umstand, dass der im Rahmen der Prüfung des Verfügungsanspruchs angenommene Beschäftigungsanspruch mit jedem Tag der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers wegen Zeitablaufs jeweils nicht nachholbar ist und damit endgültig untergeht. Zwar gilt dies umgekehrt in gleicher Weise für den Arbeitgeber, der zur Beschäftigung des Arbeitnehmers verpflichtet wird, sodass aus seiner Sicht das Hauptsacheverfahren über das Bestehen des Beschäftigungsanspruchs bereits vorweggenommen wird. Die faktische Vorwegnahme der Hauptsache ist in dieser Situation aber unvermeidlich und sogar verfassungsrechtlich geboten. Beiden Parteien steht der Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu (Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG), der sich auch auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bezieht. Einstweiliger Rechtsschutz darf nicht deshalb verweigert werden, weil er notwendig eine Partei endgültig begünstigt und die Gegenpartei endgültig belastet.
Einer besonderen Dringlichkeitssituation bedarf es für eine Befriedigungsverfügung auf Beschäftigung dabei nicht, weil sich die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung bereits aus der besonderen Rechtsnatur des Beschäftigungsanspruchs ergibt, der aus dem grundrechtlich geschützten Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers abgeleitet wird (BAG, Großer Senat, Beschluss vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 –, zu C I 2 der Gründe, Rn. 38, juris), und daraus, den endgültigen Verlust dieses im Rahmen der Prüfung des Verfügungsanspruchs festgestellten Rechts durch die lange Dauer eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens zu vermeiden." (Rdnr. 55 f.)
Soweit das LAG in der Vergangenheit eine abweichende Rechtsauffassung vertrat, hält es jedenfalls für Fallgestaltungen, in denen der Arbeitgeber im noch laufenden Arbeitsverhältnis die Beschäftigung überhaupt und insgesamt ablehnt, ausdrücklich nicht mehr fest:
"An dieser Rechtsauffassung hält die erkennende Kammer für die vorliegende Fallkonstellation, in der die Verfügungsbeklagte eine Beschäftigung der Verfügungsklägerin während der Zeit des unstreitigen Bestehens des Arbeitsverhältnisses – hier bis zum Ablauf der notwendigen Auslauffrist – überhaupt und insgesamt ablehnt, nicht weiter fest." (Rdnr. 54)
(Quelle: LAG Hamburg, Urteil v. 23.08.2017, 5 SaGa 2/17)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Fuldabrück-Bergshausen (LK Kassel))