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AutorenbildFachanwalt für Arbeitsrecht Michael Kügler

BAG, 08.12.2022 - 6 AZR 31/22: Welche Rolle spielt die Rentennähe bei der Sozialauswahl?

Nach den Bestimmungen des Kündigungsschutzrechts gelten für die unter den Anwendungsbereich der §§ 1, 23 KSchG fallenden Arbeitsverhältnisse für die Rechtswirksamkeit von arbeitgeberseitigen Kündigungen bestimmte Voraussetzungen. Insbesondere genügt bei ordentlichen (fristgerechten) Kündigungen nicht die bloße Einhaltung der Kündigungsfrist. Es bedarf vielmehr eines "Kündigungsgrundes". Eine bedeutsame Rolle spielt hierbei in der Praxis die sog. betriebsbedingte Kündigung.


Im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung spielt wiederum das Erfordernis der sozialen Auswahl eine wichtige Rolle. Insofern heißt es in § 1 Abs. 3 KSchG:


"Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen."


Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich in einem Urteil vom 08.12.2022 mit der Frage zu befassen, welche Bedeutung die Rentennähe eines von einer betriebsbedingten Kündigung betroffenen Arbeitnehmer für die Wirksamkeit der ihm gegenüber erklärten Kündigung hat.


Im entschiedenen Fall ging es um eine 1957 geborene, klagende Arbeitnehmerin. Das Arbeitsverhältnis mit der Insolvenzschuldnerin bestand seit 1972. Der beklagte Insolvenzverwalter hatte mit dem Betriebsrat einen ersten Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen. Auch die Klägerin war auf dieser Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer enthalten und erhielt eine Kündigung.


Symbolbild ältere Arbeitnehmerin

(Symbolbild)


Die Klägerin ging gegen diese Kündigung gerichtlich vor. Der beklagte Insolvenzverwalter verwies dagegen darauf, dass die Klägerin in ihrer Vergleichsgruppe sozial an wenigstens schutzbedürftig sei. Denn sie habe als einzige die Möglichkeit, zeitnah nach dem Kündigungstermin eine Altersrente für besonders langjährig Beschäftigte zu beziehen (§§ 38, 236b SGB VI).


Im weiteren Verlauf führte der Insolvenzverwalter erneut Verhandlungen mit dem Betriebsrat. Es kam zu einen zweiten Interessenausgleich mit Namensliste. Darauf hin wurde der Klägerin vorsorglich erneut gekündigt. Auch gegen diese zweite Kündigung ging die Klägerin mit einem Kündigungsschutzantrag klageweise vor.


Das Arbeitsgericht (ArbG) gab der Klägerin bei beiden Kündigungsschutzanträgen recht. Das Landesarbeitsgericht (LAG) wies die Berufung des Insolvenzverwalters zurück.


Vor dem BAG hatte der Insolvenzverwalter nur teilweise Erfolg.


Das BAG befand die erste Kündigung zwar auch für unwirksam, nicht aber die zweite.


Im Zusammenhang mit der ersten Kündigung wies das BAG allerdings zunächst darauf hin, dass die Betriebsparteien bei dem Kriterium "Lebensalter" durchaus die Rentennähe der Klägerin berücksichtigen durften. Dieses Kriterium sei ambivalent. Zwar nehme die soziale Schutzbedürftigkeit mit steigendem Lebensalter zunächst zu. Denn ältere Arbeitnehmer hätten häufig schlechtere Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt. Die soziale Schutzbedürftigkeit sinke aber wieder, wenn der Arbeitnehmer entweder spätestens innerhalb von zwei Jahren nach dem Beendigungstermin über Bezüge in Form einer abschlagsfreien Rente wegen Alters – mit Ausnahme der Altersrente für schwerbehinderte Menschen – verfügen könne oder über solche bereits verfüge.


(Quelle: BAG, Urteil v. 08.12.2022, 6 AZR 31/22; Pressemitteilung Nr. 46/22)


(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Kassel)

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