BAG, 24.02.2022 - 8 AZR 208/21 (A): EuGH-Vorlage - Altersdiskrimierung bei persönlicher Assistenz?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) wandte sich mit Vorlagebeschluss vom 24.02.2022 an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), um eine Fragestellung aus dem Recht der Antidiskrimierung einer Klärung zuzuführen.
Im entschiedenen Fall stritten die Parteien über eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Diese Bestimmung lautet:
"(2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre."
(Symbolbild)
Die Beklagte betreibt einen Assistenzdienst, d.h. sie erbringt für Menschen mit Behinderungen Beratung, Unterstützung sowie Leistungen der persönlichen Assistenz.
Eine nähere Bestimmungen derartiger Assistenzleistungen findet sich in § 78 Abs. 1 SGB IX:
"(1) Zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltages einschließlich der Tagesstrukturierung werden Leistungen für Assistenz erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags wie die Haushaltsführung, die Gestaltung sozialer Beziehungen, die persönliche Lebensplanung, die Teilhabe am gemeinschaftlichen und kulturellen Leben, die Freizeitgestaltung einschließlich sportlicher Aktivitäten sowie die Sicherstellung der Wirksamkeit der ärztlichen und ärztlich verordneten Leistungen. Sie beinhalten die Verständigung mit der Umwelt in diesen Bereichen."
Im Juli 2018 veröffentlichte die Beklagte eine Stellenanzeige, wonach eine 28jährige Studentin "weibliche Assistentinnen" in allen Lebensbereichen des Alltags, die "am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein" sollten, suchte.
Auf diese Anzeige bewarb sich die im März 1968 geborene Klägerin - ohne Erfolg.
Die Klägerin sah sich aufgrund ihres Alters diskriminiert und verlangte gemäß § 15 Abs. 2 AGG eine Entschädigung.
Die Beklagte entsprach diesem Ansinnen nicht und verwies insbesondere auf § 8 Abs. 1 SGB IX:
"(1) Bei der Entscheidung über die Leistungen und bei der Ausführung der Leistungen zur Teilhabe wird berechtigten Wünschen der Leistungsberechtigten entsprochen. Dabei wird auch auf die persönliche Lebenssituation, das Alter, das Geschlecht, die Familie sowie die religiösen und weltanschaulichen Bedürfnisse der Leistungsberechtigten Rücksicht genommen; im Übrigen gilt § 33 des Ersten Buches. Den besonderen Bedürfnissen von Müttern und Vätern mit Behinderungen bei der Erfüllung ihres Erziehungsauftrages sowie den besonderen Bedürfnissen von Kindern mit Behinderungen wird Rechnung getragen."
Das Arbeitsgericht (ArbG) gab der Klage teilweise statt, das Landesarbeitsgericht (LAG) wies sie ab.
Das BAG sah Klärungsbedarf, der eine Vorlage an den EuGH bedinge. Es wandte sich daher mit folgender Frage an den EuGH:
"Können Art.4 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 7 und/oder Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78/EG – im Licht der Vorgaben der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Charta) sowie im Licht von Art. 19 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) – dahin ausgelegt werden, dass in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt werden kann?"
(Quelle: BAG, Beschluss v. 24.02.2022, 8 AZR 208/21 (A); Pressemitteilung Nr. 9/22)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Kassel)
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