BGH, 07.05.2021 - V ZR 299/19: Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers in Übergangsfällen
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hatte sich in einem Urteil vom 07.05.2021 mit der Frage der Prozessführungsbefugnis eines Wohnungseigentümers in einem Verfahren zu befassen, welches vor dem 01.12.2020 bei Gericht anhängig war und in dem der Wohnungseigentümer sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte geltend machte.
Der BGH entschied, dass in einem solchen Fall - in Anwendung des Rechtsgedankens des § 48 Abs. 5 WEG - die Prozessführungsbefugnis solange fortbestehe, bis dem Gericht eine schriftliche Erklärung des vertretungsberechtigten Organs über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer vorläge.
§ 48 Abs. 5 WEG lautet:
"(5) Für die bereits vor dem 1. Dezember 2020 bei Gericht anhängigen Verfahren sind die Vorschriften des dritten Teils dieses Gesetzes in ihrer bis dahin geltenden Fassung weiter anzuwenden."
Im entschiedenen Fall sind die Parteien Eigentümer zweier benachbarter Grundstücke. Der Kläger ist kein Alleineigentümer, sondern Miteigentümer im Rahmen einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Die Grundstücke des Klägers und der Beklagten grenzen aneinander. Die Beklagten pflanzten 2011 auf ihrem Grundstück Zypressen in einem Abstand zur Grundstücksgrenze von unter vier Metern.
Der Kläger begehrte mit seiner Klage Beseitigung. Er sieht den Grenzabstand von 4,0 m nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 NRG Baden-Württemberg nicht als gewahrt an. Hilfsweise begehrt er Rückschnitt.
Amtsgericht (AG) und Landgericht (LG) gaben dem Kläger im Hauptantrag recht.
Die Beklagten begehren Abweisung der Klage.
Für den BGH stellte sich die Frage, ob der Kläger auch nach der zum 01.12.2020 einsetzenden WEG-Reform noch prozessführungsbefugt war. Denn der Kläger machte Rechte wegen Verletzung des gemeinschaftlichen Eigentums geltend.
Nach früherem Rechtsverständnis war der Kläger zur selbstständigen Geltendmachung befugt, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Wohnungseigentümergemeinschaft die Ausübung dieses Rechts nicht an sich gezogen hatte.
Seit 0.12.2020 gilt § 9a Abs. 2 WEG, wo es heißt:
"(2) Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer übt die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und nimmt die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr."
Damit liegt die Ausübungsbefugnis für die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte nunmehr allein bei der Wohnungseigentümergemeinschaft. Der einzelne Wohnungseigentümer ist nicht mehr zur selbständigen gerichtlichen Geltendmachung solcher Ansprüche befugt.
(Symbolbild)
Der BGH entschied sich dafür, für bereits anhängige Verfahren den Rechtsgedanken des § 48 Abs. 5 WEG zur Anwendung zu bringen.
Es sei nicht sinnvoll, wenn man andernfall eine Unzulässigkeit der Klage wegen fehlender Prozessführungsbefugnis annähme. Dann wäre ein über Jahre geführtes Verfahren gänzlich nutzlos gewesen und hätte nur Aufwand und Kosten verursacht.
Im Übrigen liege es typischer Weise auch im Interesse der Gemeinschaft, wenn ein Wohnungsigentümer gegen eine Beeinträchtigung gemeinschaftlichen Eigentums vorgehe.
Ein entgegenstehender Wille der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer sei dem Gericht nicht zur Kenntnis gebracht worden.
Somit blieb in diesem Übergangsfall die Prozessführungsbefugnis des selbstständig klagenden Klägers bestehen.
(BGH, Urteil v. 07.05.2021, V ZR 299/19; Pressemitteilung Nr. 93/2021)
(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Kassel)
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