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AutorenbildRechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Michael Kügler

OVG Bautzen, 08.02.2021 - 6 B 404/20: Zur Prüfung erneuter Alkoholabhängigkeit

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass bei einem Fahrerlaubnisinhaber, bei dem früher eine Alkoholabhängigkeit bestand, erneut die Frage auftaucht, ob wieder Alkoholabhängigkeit eingetreten ist.


Mit einem solchen Fall hatte sich das Oberverwaltungsgericht Dachsen (OVG Bautzen) in einem Beschluss vom 08.02.2021 zu befassen.


Im entschiedenen Fall war dem Antragsteller ursprünglich aufgrund einer fahrlässigen Trunkenheitsfahrt im Jahre 2003 (BAK von 1,33 ‰) die Fahrerlabnis entzogen worden. Nach einer MPU (medizinisch-psychologische Untersuchung) hatte er im Jahr 2012 die Fahrerlaubnis wieder erlangt.


Allerdings hatte der Antragsteller am 15.09.2019 gegen 01:25 Uhr erneut ein Kraftfahrzeug im alkoholisierten Zustand, nämlich mit einer Atemalkoholkonzentration (AAK) von 0,39 mg/l , was rechnerisch einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 0,78 ‰ entspricht, geführt.


Deshalb forderte ihm die Fahrerlaubnisbehörde mit Anordnung vom 18.05.2020 auf, bis zum 20.07.2020 ein MPU-Gutachten zur Klärung einer Alkoholabhängigkeit vorzulegen. Die von der Fahrerlaubnisbehörde für die Begutachtung vorgegebene Fragestellung lautete:


"Hat Herr M... die Alkoholabhängigkeit überwunden, liegt also eine stabile Abstinenz vor? Kann er ein Kraftfahrzeug der Gruppe 1/FE-Klassen A und B sicher führen? Ist insbesondere nicht zu erwarten, dass er zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen wird und/oder liegen psychofunktionale oder andere alkoholassoziierte Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges der Gruppe 1/FE-Klassen in Frage stellen?".


Als Rechtsgrundlage wurde § 13 S. 1 Nr. 2 lit. e FeV genannt.


Diese Bestimmung lautet:


"Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass


1.

ein ärztliches Gutachten (§ 11 Absatz 2 Satz 3) beizubringen ist, wenn Tatsachen die Annahme von Alkoholabhängigkeit begründen, oder


2.

ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn


[...]


e) sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit nicht mehr besteht.


[...]"


Der Antragsteller unterzog sich einem verkehrspsychologischen Eingangsgespräch. Die Gutachtensstelle empfahl dem Antragsteller daraufhin, eine VIB (verhaltenstherapeutische Intensivberatung) und einen Alkoholabstinenznachweis durch eine Haaranalyse. Eine Begutachtung werde erst für Mitte Dezember 2020 empfohlen. Der Antragsteller teilte danach sein Einverständnis mit der Begutschtung mit, wies aber darauf hin, dass es unmöglich sei, das geforderte Gutachten innerhalb von zwei Monaten beizubringen.


Die Fahrerlaubnisbehörde entzog dem Antragsteller nunmehr mit Bescheid vom 04.08.2020 die Fahrerlaubnis vollumfänglich für alle erteilten Klassen. Sofortvollzug wurde angeordnet.


Der Antragsteller legtre Widerspruch ein und begehrte beim Verwaltungsgericht (VG) - erfolglos - die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.


Symbolbild Wein

(Symbolbild)


Das VG führte aus, dass der Antragsteller durch seine Trunkenheitsfahrt vom 15.09.2019 die positive Prognose aus dem früheren MPU-Gutachten vom 09.05.2012 widerlegt habe. Die Fahrerlaubnisbehörde sei daher verpflichtet, dem Verdacht fortbestehender Alkoholabhängigkeit in der von der gewählten Wiese nachzugehen.


Gegen diese Entscheidung legte der Antragsteller Beschwerde zum OVG ein.


Das OVG gab dem Antragsteller vorläufig und mit spezifischen Befristungen Recht:


Dabei wies das OVG unter anderem darauf hin, dass der angegriffene Bescheid bereits deshalb rechtswidrig sei, weil nur die Anordnung eines ärztlichen Gutachtens nach § 13 S. 1 Nr. 1 FeV und nicht die eines MPU-Gutachtens nach § 13 S. 1 Nr. 2 lit. e FeV hätte erfolgen dürfen.


Denn die Vorschrift des § 13 S. 1 Nr. 2 lit. e FeV (MPU-Gutachten) sei (nur) dann anzuwenden, wenn über die Frage der Wiedererlangung der Fahrereignung nach vorangegangener Alkoholabhängigkeit zu entscheiden ist.


Geht es dagegen darum, in Erfahrung zu bringen, ob eine Person überhaupt alkoholabhängig ist, so kann nach § 13 S. 1 Nr. 1 FeV lediglich die Vorlage eines ärztlichen Gutachtens verlangt werden. Denn für eine solche Klärung seien keine prognostischen Überlegungen, sondern die Ermittlung und Bewertung aktuell vorliegender, im wesentlicher medizinischer Gegebenheiten vorzunehmen. Dies gehöre aber zum Kernbereich ärztlicher Tätigkeit. Im Übrigen spräche auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dafür, zunächst nur ein ärztliches Gutachten und nicht gleich ein MPU-Gutachten einzuholen.


Dabei sei es auch ohne Belang, ob die Fahrerlaubnisbehörde eine Person erstmals auf Alkoholabhängigkeit hin begutachten lasse oder ob festgestellt werden soll, ob es nach Überwindung der früheren Abhängigkeit zu einem Rückfall gekommen ist bzw. ob zu klären ist, ob Abhängigkeit "noch besteht" (was etwa dann veranlasst sein könnte, wenn Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass in der Vergangenheit u.U. irrtümlich von einer Wiedererlangung der Fahreignung nach früherer Alkoholabhängigkeit ausgegangen und dem Betroffenen deshalb - vielleicht zu Unrecht - eine Fahrerlaubnis erteilt wurde). Denn zur Klärung dieser Fragestellung bedürfe es keiner prognostischen Bewertungen wie sie für ein MPU-Gutachten wesentlich seien.


Habe also ein ehemals alkoholabhängiger Fahrerlaubnisinhaber -. wie im vorliegenden Fall - bereits einmal die "Hürde" des § 13 S. 1 Nr. 2 lit. e FeV genommen, sei er wieder als als fahrgeeignet anzusehen und verliere die Fahreignung wie jeder andere Fahrerlaubnisinhaber erst wieder, wenn eine Alkoholabhängigkeit festgestellt wird.


Das OVG berief sich ausdrücklich auf entsprechende Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (VGH München), Beschluss v. 09.12.2014, 11 CS 14.1868.


Es könne auch nicht aus den Umständen ohne ärztliches Gutachten auf eine Alkoholabhängigkeit geschlossen werden, was ausführlich vom OVG begründet wurde.


Im Ergebnis war daher - mit besonderen Befristungen - die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vorläufig wiederherzustellen.



(Eingestellt von Rechtsanwalt Michael Kügler, Kassel)

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